Der Ratsherr als Räuber

In der Nähe des Gescheibten Turms" befand sich ein unterirdisches Gewölbe, das die Spuren einer alten Feuerstätte trug. Diese Höhle diente einst einem Bozner Ratsherrn, der ein merkwürdiges Doppelleben führte, zum Versteck. Untertags saß der Ratsherr würdig und feierlich im Rate der Stadt, zur Nachtzeit aber verwandelte er sidi in einen gefährlichen Räuber, der von seinem Versteck aus Wanderer und Kaufleute überfiel, ausraubte und tötete.

Lange hatte der unheimliche Mensch die Gegend in Schrecken versetzt, und niemand ahnte, daß der hochangesehene Ratsherr mit dem geld- und blutgierigen Verbrecher wesensgleich sei. Endlich schlug seine Stunde. Ein anderer Ratsherr erfuhr von dem Treiben seines Kollegen und beschloß, ihn unschädlich. zu machen.

Während einer Ratssitzung wurde das ganze Haus von Soldaten umstellt. Drinnen im Saal erhob sich jener Ratsherr und stellte öffentlich an den Räuber, der in der Maske des Biedermannes unter den anderen Ratsmitgliedern saß, die Frage, welche Strafe jener Heuchler verdiene, der eine ganze Stadt hinters Licht führe und seine Verbrechen unter dem Mantel bürgerlicher Sitte verberge. Der Gefragte antwortete, daß einem solchen Menschen nichts anderes gebühre, als daß er mit glühenden Zangen gepeinigt und aufs Rad geflochten werde.

Im gleichen Augenblick traten Bewaffnete in den Saal. Der Ratsherr zeigte mit den Worten- Du bist selbst dieser Verbrecher, es geschehe dir nach deinem eigenen Urteil!" auf den Entlarvten. Wohl wehrte der sich verzweifelt, wurde aber überwältigt und starb nach seiner Verurteilung den Henkertod.

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