In manchen Tälern Tirols hat sich bis auf die Gegenwart die Sage vom umgehenden Schuster erhalten, einer Gestalt, die ruhelos bis zum jüngsten Tag wandern muß, einer
alpenländischen Abart des ewigen Juden. Man hat da und dort den umgehenden Schuster zu kurzer Rast erblickt, aber immer muß der Fluchbeladene wieder weiter, nicht Zeit noch Tod haben über
ihn Gewalt.
Bei Strengen ist vor Jahrhunderten das sogenannte Stopferkreuz aufgerichtet worden, dessen Christusbild eine ganz auffallende Ahnlichkeit mit dem wahren Antlitz des
Heilands haben soll. Da kam auch einmal der umgehende Schuster an diesem Kreuz vorbei und blieb wie gebannt stehen, vermeinte er doch, Christus selbst zu erblicken, dem er einst auf dem
Wege nach Golgatha unbarmherzig die Rast an seinem Haus verweigert hatte.
Von der Ahnlichkeit des Bildes war der unheimliche Wanderer so betroffen, daß er nicht gleich weiterzog,
sondern zur Nacht im Hirnhäusl zu Strengen blieb, sich aber nicht zu Bett legte, sondern unaufhörlich in der Stube auf und ab schritt. Am nächsten Morgen stand der Schuster wieder vor dem
Kreuze und starrte unbeweglich empor zum Haupt Christi. Wie gerne hätte er zu Füßen des Kreuzes für immer gerastet. Aber schon trieb ihn seine ewige Unruhe wieder empor, er wischte sich
den Schweiß von der Stirn und stieg weiter dem Arlberg zu.
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