Auf dem Weg nach St. Georgen bei Bruneck, am Eingang des Tauferer Tales, steht eine alte Marienkapelle, im Volksmund "das Stöckl" genannt. An ihrer Stelle befand
sich einst der Eingang einer Höhle, die tief in den Berg führte und in der manchmal Bauernkinder, die in der Nähe spielten, auf geheimnisvolle Weise spurlos verschwanden.
Eines
heißen Sommertages kam eine Bäuerin mit ihrem einzigen Töchterlein an der Höhle vorüber und rastete im Schatten des Felsen. Auf einmal war das Kind nicht mehr da, alles Rufen und Suchen
der verzweifelten Mutter blieb vergebens.
Auf den Rat ihres Beichtvaters ging die Frau in der nächsten Nacht wieder zur Höhle und schritt mit einer brennenden Kerze durch einen
langen Gang mutig vorwärts. Plötzlich drang heller Lichtschein durch die Finsternis. Die erstaunte Bäuerin trat in einen großen, hellerleuchteten Saal, in welchem inmitten einer Schar von
Kindern eine wunderschöne Frau saß, die das verlorene Mägdlein auf ihrem Schoß trug und zärtlich liebkoste.
Kaum hatte das Kind die Mutter erblickt, so eilte es mit einem
jubelschrei in ihre Arme zurück. Im gleichen Augenblick stieß die schöne Frau einen klagenden Schrei aus; alle Kinder drängten der Bäuerin nadi ins Freie und kehrten nun befreit zur
größten Freude ihrer Eltern wieder heim.
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