Im Zemmgrund, durch den ein Wildbach tost, ist es zuzeiten nicht geheuer. Man begegnet da oft einer wunderschönen, weißgekleideten Frau, die späte Wanderer in den Bach zu
drängen sucht.
In finsterer Novembernacht ging ein Bursche von Mayrhofen gegen Seperlehen, einen Bauernhof im Zemmgrund. Im Wald hinter dem Lindtal begegnete ihm die Weiße Frau,
legte die linke Hand auf seine Schulter und ging neben ihm her, ohne ein Wort zu sprechen. Ganz allmählich suchte die Frau den Burschen vom Weg ab gegen die Schlucht zu drängen, er aber
hielt stand und ließ sich von dem Geist nicht zur Seite drücken. Beim Karlsteg blieb die Weiße Frau zurück und entließ den Burschen mit einem Abschiedswinken.
Zu anderer Nachtzeit
wollten zwei Burschen durch den Zemmgrund nach Ginzling gehen. Da schritt plötzlich vor ihnen eine in duftige Schleier gehüllte Frauengestalt und winkte. Einer der Burschen begann voll
Neugierde zu laufen, konnte aber die Weiße Frau nicht einholen, die in der Sausteinmühle verschwand. Der Bursche drang in die Mühle ein, streckte seine Hand nach der Frauengestalt aus,
kam aber gleich wieder mit dem entsetzten Ruf ins Freie:
"Nar z'rügg'n, nar z'rügg'n, Se hot an höhl'n Rügg'n!"
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