An einem stürmischen Herbstabend kam ein Wanderer zum Schloß Sonnenburg und suchte Schutz vor dem Unwetter. Vor der Burg traf der Mann eine Dame, die ihn freundlich
anredete und zum Bleiben einlud: Du kannst in der heutigen Nacht dein Glück finden, wenn du nur willst. Seit langen Jahren bin ich verwunschen und würde dich, wenn du mich erlöst, reich
und glücklich machen. Aber du mußt die ganze Nacht hindurch im großen Rittersaal bleiben, darfst dich nicht fürchten und kein Wort reden, was immer auch geschieht."
Der Mann
war einverstanden und machte sich's im Rittersaal bequem. Als die Mitternachtsstunde schlug, schritten viele Gespenster durch den Saal, Ritter und Knappen in glänzenden Rüstungen und
Harnischen, Nonnen und Äbtissinnen in dunklem Habit, mit goldenen Ketten geschmückt. Wortlos ließ der Mann den Spuk an sich vorüberziehen und glaubte schon, die Prüfung bestanden zu
haben, als zwei scheußliche höllische Geister seine eigene Mutter, die vor Jahren verstorben war, unter Mißhandlungen in den Saal trieben. Da war es um die Fassung des Wanderers
geschehen. Er sprang zornig auf, schrie den Geistern "Halt!" zu und wollte seine Mutter aus ihrer Gewalt befreien.
Da erdröhnte ein Donnerschlag, die Erscheinungen
verschwanden, und die Frau, die ihn in den Saal geleitet hatte, sprach mit trauriger Stimme: "Wehe, daß du jetzt doch gesprochen hast! Nun muß ich wieder hundert Jahre auf meine
Erlösung warten."
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